DETROIT UND MICHIGAN *1
Detroit, „die Stadt an der Enge“ (die Franzosen sprechen es heute noch Detroa aus, amerikanisch kann man es auf der ersten oder zweiten Silbe betonen), war im Diercke-Atlas meiner Schulzeit rot mit eigenen Umrissen und schwarzer Schraffur eingezeichnet: eine Millionenstadt! Sie war damals die 5-größte Stadt der USA mit fast zwei Millionen Einwohnern, heute liegt sie mit 672 000 in der Größenordnung von Stuttgart und damit erst an 23. Stelle in diesem Land!
Bei unseren vielen Besuchen hier in Michigan waren wir öfter in der Stadt, sind mit dem Detroit People Mover, einer 4,7 km langen automatisch betriebenen Hochbahn, um das Stadtzentrum gefahren, waren im Renaissance Center, dem Hauptquartier von General Motors und im Opernhaus, einem Bau mit 2700 Sitzplätzen mit dem plüschigen Charme der 20er-Jahre. Außerhalb dieser downtown ist die Bebauung einfach, meist Einfamilienhäuser, auch größere Baulücken. Die Ruinen von Wohnblöcken und Fabrikgebäuden mit Brandspuren und eingeworfenen Fenstern sind in den letzten Jahren abgerissen worden, und an manchen Mauern finden sich interessante Wallpaintings. Belle Isle im Detroit River ist eine schöne Parklandschaft mit Sportstätten, Aquarium, Gewächs-häusern und Bewirtungspunkten.
In der Innenstadt liegen – einmalig in den gesamten USA - auch alle Sportstätten für die Teams der sogenannten Major Leagues (Tigers im Baseball, Pistons im Basketball, Red Wings im Eishockey und Lions im Football). All diese Teams haben auch schon die Titel in ihren Ligen gewonnen, wobei die Red Wings mit 11 Stanley-Cup-Siegen im Eishockey sogar Rekordhalter für US-amerikanische Mannschaften sind. Ein bemerkenswertes Denkmal ehrt den Boxer Joe Louis, der durch seine Kämpfe gegen Max Schmeling in Deutschland ebenso bekannt war wie in den USA.
Quizfrage: Detroit ist Grenzstadt zu Kanada. In welche Himmelsrichtungen sieht man von Detroit aus in den Nachbarstaat hinüber? *2
Die Metropolregion von Detroit hat nach der umfangreichsten Definition knapp die Größe von Thüringen und 5,3 Millionen Einwohner. Sie umfasst „Vororte“ wie Dearborn, wo sich das sehr sehenswerte Ford-Museum befindet, Hamtramck mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, reiche Gemeinden, aber auch durch den Niedergang der Automobilindustrie ausgeblutete und schließlich etwas weiter entfernte sehr eigenständige Großstädte wie Flint*3 und Ann Arbor. Detroit selbst hat mit über 80% den höchsten Anteil an afroamerikanischer Bevölkerung unter allen amerikanischen Großstädten.
Diese 5,3 Millionen Michigander machen über die Hälfte der Bevölkerung eines Bundesstaates aus, der so groß ist wie die alte Bundesrepublik. Als erstes wurde uns hier beigebracht, dass die Aussprache „mischigän“ und nicht „mitschigän“ ist, wie wir bisher dachten. Und dass die Einwohner Mischigander genannt werden wollen, passt zum Wirrwarr der Herkunftsnamen im Englischen und Französischen: dabei ist Deutsch ausnahmsweise einmal einfacher. Per Volksabstimmung entschied sich 2011 eine Mehrheit für diese Bezeichnung, die eigentlich auf einen Spott Abraham Lincolns gegenüber einem Politiker aus Michigan zurückgeht und eine Kombination des Staatsnamens mit gander (Ganter, Gänserich) ist. Die Zentralverwaltung in Washington spricht allerdings weiter von Michiganians! Die Einwohner der Upper Peninsula (zwischen Oberem und Michigansee) nennen sich Yoopies (ausUP), diese jedoch bezeichnen ihre Mitbürger von der Lower Peninsula (zwischen Michigan-, Huron- und Erisee) als Trolls! Und ein Spitzname für den Bundesstaat ist mitten state (Fäustlingsstaat), weil die Umrisse der lower peninsula wie ein Fausthandschuh aussehen. Alles klar?
Die Hauptstadt mit einem großen Kapitol heißt übrigens Lansing und war 1847 die lachende 6. oder 7. in einer Abstimmung im hiesigen Repräsentantenhaus, als Detroit von einem zentraler liegenden Ort abgelöst werden sollte. Damals wohnten dort zirka 20 Personen, und eine erste Betrugsaffäre mit dem Verkauf nicht existierender Grundstücke war auch schon vorbei!
Als unser Sohn 2008 das Tourbook des AAA mit seinem ADAC-Ausweis abholte, wurde er gefragt, was er damit wolle. „Sightseeing and so“ antwortete er, was bei seiner Gegenüber Heiterkeit hervorrief: „Sightseeing in Michigan?“. Es gibt aber auch landschaftlich sehr sehenswerte Regionen: Die über 5000km Seeufer, besonders die bis 140m hohen Sanddünen am Michigansee und die waldreiche obere Halbinsel.
*1 Da der erste Teil unserer Reise hauptsächlich ein Familienbesuch ist, finden sich hier auch Erlebnisse und Beschreibungen von früheren Aufenthalten und fremde Bilder, wenn die eigenen unzulänglich oder derzeit nicht zugänglich sind
*2 Antwort: nach Osten und SÜDEN
*3 Was sich in Flint in den letzten Jahren abgespielt hat, ist ein Musterbeispiel von Verwaltungsversagen, Sparzwängen und laissez-faire-Kapitalismus auf dem Rücken der Bevölkerung. Zur Lektüre auch Lokalpolitikern empfohlen, die kommunale Wasserversorgungen an US-Firmen „vermietet“ haben. (https://en.wikipedia.org/wiki/Flint_water_crisis) leider nicht auf Deutsch, aber it. u. fr.