PROLOG
Es gibt Kindheits- und Jugendträume, die ziemlich unrealistisch sind, aber dennoch der Phantasie Stoff geben und Räume öffnen. Wehmütig macht mich kaum etwas von dem nicht Erfüllten, denn in meinem privaten und beruflichen Lebenslauf haben sich sehr viele Dinge besser gefügt als es je zu erwarten gewesen war.
Ich bin in einer besonderen Landschaft aufgewachsen, und mit nur wenig Lokalpatriotismus kann ich sagen, viel Schönes gesehen zu haben, aber kaum etwas, was ich spontan als schöner einstufen möchte. Natürlich ist es unsinnig, eine felsige Steilküste unter blauem Himmel, die architektonische Achse einer Stadt oder die grandiose Einsamkeit einer Wüste skalieren zu wollen, um sie dann quantitativ zu vergleichen. Und natürlich beeinflusst die Erfahrung der Kindheit, die mit einem Bach, einem Berggipfel oder einer Blumenwiese persönliche und einzigartige Emotionen verbindet. Wer jedoch das obere Illertal kennt, wird mir wahrscheinlich zustimmen. Es ist ein Bergtal, aber so weit, dass der kleine Mensch da unten nicht erdrückt wird von hoch aufragenden Bergflanken, dass er die verschiedenen Formen über die waldbedeckten Flyschkuppen und die steilen Grate der Grasberge bis zu den schroffen Zacken der Hauptdolomitgipfel von fast überall her bewundern kann, dass sich auch, je höher man die Flanken hinaufsteigt, immer neue überraschende Aspekte eröffnen.
Aber diese Ausblicke bildeten in gewisser Weise auch eine abgeschlossene Welt. An Urlaubsreisen war von den finanziellen Möglichkeiten her nicht zu denken, und in das in der Luftlinie keine 10km entfernte Österreich kam ich erstmals im Alter von 10 Jahren. So musste ich mich auf Landkarten und Reisebeschreibungen beschränken, die mich seit frühester Kindheit faszinierten und die mir in der Bibliothek des Hauses auch zur Verfügung standen. Und ich las vor dem Dorfladen die Werbeständer der Busfirma Alpenvogel, die zum Beispiel Tagesfahrten zum Bodensee oder den Königsschlössern für 12-30 DM anpriesen und als unerreichbares Spitzenangebot eine dreitägige Venedigreise für einen niedrigen dreistelligen Betrag.
Die Welt kam aber auch zu mir. Da gab es Gäste der Hausbesitzerfamilie und die oben schon angesprochene große Bibliothek, in der sich unter anderem opulente Bildbände von Städten und Ländern aus den 20er- und 30er-Jahren fanden, dann die „Sommerfrischler“ im Dorf, denen ich „die Berge erklärte“ und dabei im Gegenzug einiges über ihre Heimatregionen erfuhr. Viele Geschichten erzählten mir auch die Briefmarken, die ich zusammen mit meinem Vater sammelte. Sie brachten ferne Länder näher, zeigten Bauwerke, die ich zum Teil bis heute nicht gesehen habe, Landschaftsansichten im Kleinformat. Manche prägten sich ein wie die Saarschleife bei Mettlach oder Le Puy-en-Velay, und sie enttäuschten in der Realität dann nicht, andere blieben Wunschziele.
Schließlich wollte ich aus eigener Anschauung wissen, was sich hinter den Bergen befand, wie die Gegenden nördlich der beiden Senken rechts und links vom Rottachberg aussahen, die die Tore zur Welt darstellten. Einmal im Leben Amerika bereisen zu können war dabei nicht mehr als eine vage, aber wichtige Hoffnung. Und so sparte ich Jahr für Jahr 5 DM für ein Los der Fernsehlotterie und verfolgte gespannt die Ziehungen, doch wollte keiner der Gewinne und schon gar nicht die große Weltreise auf meine Nummer fallen.
Jetzt sind wir Rentner, nach einem erfüllten Berufsleben und einigen medizinischen Reparaturen noch rüstig genug für die eine oder andere Unternehmung. Zwar kommt eine lange erträumte Treckingtour im Himalaya aus Gründen der Vernunft und der Kondition nicht mehr infrage, und manches potentielle Reiseziel ist uns derzeit politisch zu unsicher. Neuseeland jedoch stand schon lange auf der Agenda, seit uns die Kinder den Mund wässrig gemacht hatten, als sie über schulvermittelte Homestays vor über 20 Jahren dort waren. Eine große gemeinsame Reise zusammen mit ihnen und ihren Familien kam aus beruflichen Gründen nicht zustande, wäre jetzt mit vier Enkeln noch schwerer zu realisieren. Und so gehen wir es jetzt alleine an.
Da unser Sohn und seine Familie seit 12 Jahren in den USA leben, bietet sich ein Besuch zu Weihnachten natürlich an, besonders wenn noch mehrere Geburtstage in diesen Zeitraum fallen. Videotelefonie und Internet können den direkten Kontakt zumindest für uns nicht ersetzen. Und da Reisen nach Downunder sowieso in unserer Winterzeit sinnvoll sind und man in Michigan schon ein knappes Drittel der Strecke hinter sich hat, bietet es sich doch an, immer weiter nach Westen zu fliegen, zumal dabei – mit einigen Zwischenstopps – die Jetlag-Problematik fast wegfällt. So entstand der Plan, einmal die Erde zu umrunden.
Wir werden länger unterwegs sein als Phileas Fogg, aber wir haben auch keine Wette laufen, uns nach 80 Tagen zurückmelden zu müssen. Gegenüber Magellan und Cook sind wir allerdings deutlich schneller, und wegen des Überschreitens der Datumsgrenze haben wir nochmals nachgefragt, um nicht mit falschen Flugdaten im Pazifik verloren zu gehen. Einen Tag verlieren wir dabei, aber zunächst planen wir nicht wie französische Bekannte eine zweite Reise in umgekehrter Richtung, um ihn wiederzugewinnen. Dank eines „around-the-world“ -Tickets*1 können wir die langen Strecken mit dem Flugzeug überwinden und hoffen, dass die Seele rasch genug nachkommt.
*1 Am Ende der Reise wollen wir dieses Ticket mit Stärken und Schwächen bewerten. Zunächst einmal stellen wir nur eine etwas lästige Gepäckbegrenzung auf 20kg fest.