AMERIKA, DU HAST ES BESSER ???

In diesem Beitrag will ich einige Aspekte bezüglich persönlicher Eindrücke und Besonderheiten schildern.

Goethes Gedicht (aus den Xenien) ist von der Metrik her sicher nicht sein bestes, und seine Beobachtungen aus großer Ferne waren schon damals eher idealisierend, seine wohlgemeinten Wünsche für die Zukunft wurden von der geschichtlichen Entwicklung ignoriert.

Amerika, du hast es besser

Als unser Kontinent, der alte,

Hast keine verfallenen Schlösser

Und keine Basalte.

Dich stört nicht im Innern,

Zu lebendiger Zeit,

Unnützes Erinnern

Und vergeblicher Streit.

Benutzt die Gegenwart mit Glück!

Und wenn nun Eure Kinder dichten,

Bewahre sie ein gut Geschick

Vor Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten.

Die Inschrift einer Plakette im Hafen von Savannah (Georgia) trifft es wesentlich besser. Bis dahin war der spanische Konquistador de Soto 1540 auf seiner Suchexpedition nach El Dorado gekommen. Damit habe die Kolonisierung begonnen „which brought to this continent the best and the worst of European civilisation“.

Das ist nicht das in den Staaten vorherrschende Geschichtsverständnis. Der Durchschnitts-amerikaner (sofern es ihn gibt und er ein solches überhaupt hat) denkt doch eher in „America first“-Kategorien, schwelgt in der angeblich problemarmen Vergangenheit und träumt lieber den längst widerlegten „american dream“. Bürgerkriegsschlachten werden akribisch nachgespielt, an historischen Orten wie Washingtons Wohnsitz Mount Vernon oder Fort Sutter in Sacramento wimmelt es von im Stil der jeweiligen Zeit gekleideten Statisten. Das „right or wrong – our country“ ist zwar keine offizielle Staatsdoktrin, spukt aber in vielen Hinterköpfen herum und wird von manchen Medien wie Fox bekräftigt.

Nach jeder Rückkehr von den letzten Familienbesuchen haben uns viele Leute nach Erfahrungen und Stimmungen im Trump-Amerika gefragt. Dabei können wir uns nur auf unsere Erlebnisse in Ann Arbor beziehen, und das sind Erfahrungen aus einer bubble (Blase). Da wird die deutsche Politik überwiegend positiv gesehen, ein Schuldirektor bezeichnete Angela Merkel als „the leader of the free world“, und wenn man bezüglich Trump von „your president“ spricht, kann man schnell unterbrochen werden: „he isn´t my president“. Aber selbst hier nerven die ewigen Wiederholungen der Impeachment-Debatte, und ich meine eine gewisse Resignation zu spüren, was die Verhinderung eines erneuten Wahlerfolgs des Twitterkönigs betrifft.

Unbestreitbar ist die Nation gespalten, und jede Gruppe köchelt in der eigenen Meinungssuppe vor sich hin. Die herkömmliche Presse konzentriert sich auf wenige große Zeitungen, die man manchmal in Plastikhüllen in den Vorgärten sieht. Lokale Newspaper gibt es kaum noch, hier z.B. seit 2009 nicht mehr. Einige monatliche Anzeigenblätter verzeichnen die wichtigen Termine und haben einen kleinen redaktionellen Teil. Die regionalen Fernsehstationen befinden sich zu 39% in der Hand der extrem konservativen Sinclair-Gruppe und müssen deren Kommentare senden. Neben der vom „informativen“ Teil kaum abgegrenzten Werbung geht es dann in einer einstündigen Nachrichtensendung 35 Minuten um Unfälle, Veranstaltungen und Kriminalfälle in der näheren Umgebung, 10 Minuten um den Bundesstaat, 3 Minuten um Washington und 1 Minute um Weltpolitik. Einmal waren wir bei einem Kongress in einem Hotel untergebracht, wo ausschließlich Fox lief. Damals ging es um die Vorbereitung des zweiten Irak-Kriegs unter dem Titel „showdown Iraq“. Präsentation, Tonfall der Moderatoren  und Musik entsprachen exakt dem Muster, wie wir es im Geschichtsunterricht in Göbbels´“deutscher Wochenschau“ gesehen haben. Besser ist das seitdem nicht geworden.

Informationen bzw. fake-news werden wohl zum größten Teil über die (a)sozialen Medien geteilt und bewertet. Aber ist es bei uns grundlegend anders? Warum wählen in unserem Wohnbezirk, wo es  wohl kaum viele Arbeitslose und Zukurzgekommene gibt,  13% die AfD? Wer davon bekennt sich dazu, und wen kennen wir?

Waffen sieht man hier keine; sie müssten laut Gesetz offen getragen werden. Auch einschlägige Geschäfte sind uns noch nicht aufgefallen. Aber beim Elternabend in der Schule wurde unter anderem gesagt, dass es bei Einladungen zu Kindergeburtstagen oder „playdates“ eine legitime Frage sei, ob sich Schusswaffen im Haus befinden und wo sie aufbewahrt werden. Die im Ann Arbor Observer,  einem der oben genannten Anzeigenblätter, monatlich veröffentlichte Kriminalstatistik ist wahrscheinlich unauffälliger als die von Heilbronn. Übrigens gibt es in der Stadt zwei unabhängige Polizeiorganisationen: die der Kommune und die der Universität!

Auto und Verkehr:Autofahren ist meist entspannter als daheim, wenn man sich an ein paar Besonderheiten gewöhnt hat. Auf mehrspurigen Straßen darf rechts überholt werden. Die „Stop all Way“-Regelung ist für uns ungewohnt: Jeder hat anzuhalten, und dann fährt man – Abbieger oder nicht – in der Reihenfolge, in der man an der Kreuzung angekommen ist. Ortsschilder gibt es nicht, Geschwindigkeitsbegrenzungen sind unterschiedlich, innerorts in Wohngebieten meist 25 Meilen, auf Ausfallstraßen bis zu 40. Man hält sich besser als bei uns daran, Kontrollen sind meist mobil. Die höchste zulässige Geschwindigkeit, die ich je gesehen habe, waren in einer menschenleeren Gegend im Südwesten 70 mph, also deutlich weniger als 130km/h. Hier kann man die deutsche Emotion bei der Diskussion des Themas mit der amerikanischen bezüglich des 2. Verfassungszusatzes vergleichen, der bekanntlich den freien Waffenbesitz regelt.

Verkehrszeichen sind meist an Vierkant-Locheisen befestigt, was bei Unfällen schmerzhafte bis lebensgefährliche Folgen haben kann. Ebenso gefährlich zumindest für Fußgänger und Radfahrer sind Rechtsabbieger: Man sollte auch bei grüner Ampel den Augenkontakt zum Autofahrer suchen. Blinkende Fußgängerampeln an einigen großen Straßen sehe ich kritisch: man kann sie einschalten, bekommt aber gleich die akustische Warnung mit den Weg: Cross sreet with caution. Vehicles may not stop. Und das ist leider immer wieder der Fall, da es sich um eine auf die Stadt begrenzte Regelung handelt, die Auswärtige gar nicht kennen.

Eine Mittelspur nur zum Linksabbiegen auf mehrspurigen Straßen ist ganz praktisch. In der Nähe von Schulen gibt es meist zusätzliche Geschwindigkeitsbegrenzungen und zu Schulbeginn erwachsene „Schülerlotsen“. Die Schulbusse – weiter gut erkennbar an ihrer gelben Farbe und dem Retrolook – dürfen bei Stopps keinesfalls überholt werden, woran sich auch alle halten.

So etwas wie einen TÜV gibt es z.B. in Kalifornien, aber nicht hier in Michigan. Entsprechend sieht man Gefährte, die nur noch vom Rost zusammengehalten werden. Das relativiert in meinen Augen die strengen Emissionsrichtlinien für Neuwägen. Hybrid- und E-Autos sind etwas häufiger als bei uns. Benzin (selten über 92 Oktan) kostet 60 – 65 Cent pro Liter (wird aber natürlich pro Gallone verkauft), der Steueranteil liegt unter 10 Cent. Diesel ist etwas teuer (um 75Cent). Die Autos haben nur hinten ein offizielles Nummernschild, vorne kann man z.B. auch sein altes deutsches anbringen!

Das System der Hausnummern, die ja meist vierstellig sind, hatte unsere Tochter bei ihrer ersten Reise mit uns in Grundzügen erkannt: Über die Stadt ist ein virtuelles Gitternetz (grid) gelegt, und nach jeder Linie springt die Zahl zum nächsten Hunderter. In Innenstädten korreliert dieses Gitter meist mit den Straßenverläufen, und man bekommt auf die Frage nach einer Entfernung die Auskunft „three blocks“.

So kreuzen sich wie in einem römischen Militärlager zwei Hauptstraßen: von Nord nach Süd die Main Street, von Ost nach West die Huron Street. Sie wiederum trennen jede kreuzende Straße in einen nördlichen und einen südlichen bzw. einen westlichen und östlichen Teil (z.B. N. State u. S. State South, E. Stadium und W.)

Einkaufen, Maße und Gewichte: Viele Geschäfte, besonders die größeren Supermärkte, sind in Malls an Ausfallstraßen konzentriert. In AA gibt es aber auch Fachgeschäfte und kleinere Lebensmittelläden in der Innenstadt. Bezüglich Freundlichkeit und oft auch Beratung könnten sich die meisten bei uns einiges abschauen. Das Weglaufsyndrom habe ich noch nicht erlebt, ganz im Gegenteil wird man schnell spontan angesprochen und zu den richtigen Regalen geführt, wenn man einen suchenden Eindruck macht.

Bioartikel (organic) werden zunehmend angeboten, ebenso non-GMO-Produkte. Wholefood ist eine darauf spezialisierte Kette und gehört inzwischen zu Amazon, das in diesem Marktsegment offensichtlich Wachstumsmöglichkeiten sieht. Die Preise schätze ich 20% höher als in Deutschland.- An den Kassen wird der Einkauf von dienstbaren Geistern weiter verpackt, jetzt meist in Papiertüten. Bringt man seine eigenen Taschen mit, werden diese seit neuestem ebenfalls gepackt; noch vor einem Jahr musste man das dann selber machen. Dafür gibt es  an der Kasse sogar 10c „donations“ für soziale Zwecke. Lokale Lebensmittel werden auf Märkten und in einer Art kleiner Outlets verschiedener Farmen angeboten.

Die Öffnungszeiten sind recht individuell geregelt. Auch am Sonntag findet man viele offene Geschäfte, besonders Supermärkte, die manchmal sogar mit 24/7 werben, also nie geschlossen sind. In Restaurants vom Burgerladen bis zur gehobenen Klasse wird selbstverständlich ein Trinkgelk (tip) erwartet, und zunehmend finden sich entsprechende Vorschläge schon auf der Rechnung. 15% bedeuten, dass man nicht sehr zufrieden war! Servicemitarbeiter werden aber sehr schlecht bezahlt und sind auf dieses Zubrot angewiesen, das für sie eigentlich den „Hauptgang“ darstellt.

Es ist schon befremdlich, dass die offiziellen Maßeinheiten eines Landes mit hohem technischen Anspruch immer noch inches, feet, yards und miles sind, dass man sich an verschiedene ounces für Feststoffe und Flüssigkeiten gewöhnen muss, dass Flächen in acres und square feet gemessen werden. Ab 98,6°F hat man übrigens Fieber.

Umwelt: Energie wird bei Beleuchtungen, Heizungen und Klimaanlagen weiterhin recht großzügig verwendet. Solaranlagen finden sich auf manchen Dächern. Hier in AA als Geburtsstadt der amerikanischen Umweltschutzbewegung (1968!) leugnet allerdings auch kaum jemand den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel.

Die Stadt stellt drei Mülltonnen in Jumbogröße zur Verfügung: Trash für die Deponie (landfill) oder Verbrennung, Recycle mit einer etwas anderen Zusammensetzung als in Deutschland und Compost vor allem für Gartenabfälle. Letztere wird im Winter nicht abgeholt, die anderen wöchentlich. Organisches Material zerkleinert der Masher im Abfluss. Einwegartikel z.B. an der Kaffeetheke sind allerdings noch sehr verbreitet.